und sie ist am nordöstlichen Zipfel Deutschlands.
Schon bevor wir unser Haus gefunden hatten, haben wir den Sommer verplant, mit Workshops und einem weiteren Workaway. Wir stehen einfach voll drauf: 1. Es ist super günstiger Urlaub (das gefällt dem Sparfuchs in unserer Beziehung besonders); 2. Man lernt ganz viel und darf viel ausprobieren; 3. Die Randomness!! (Zufälligkeit!)
Dabei hat alles gar nicht so geheuer angefangen: Kurz bevor wir beim Workaway anreisten, tankten wir bei der letzten Gelegenheit in Anklam noch einmal die Gurke auf. Etwas außer Atem kam Helge dann vom Bezahlen zurück: „Der ganze Tankraum war voll mit riesigen, tatowierten, stiernackigen Nazis ohne Mundschutz!“ Willkommen im Osten.
Feuerwehrsirene in Originallautstärke
Dieser schlechte erste Eindruck wurde jedoch bald wieder wett gemacht, als wir in ein kleines Bauerndörfchen einbogen und beim Kastanienhof der Aufforderung am Tor nachkamen, „Fünf Sekunden“ zu klingeln.

Eine originallautstarke Feuerwehrsirene schallte uns entgegen und grinsend nahm Rocco, der Hausherr und Punk im Nichtruhestand uns in Empfang. „Wow, noch mehr Besuch! Jetzt ist die Hütte aber ganz schön voll..!“ Wir erfuhren, dass Bea, seine Frau stets mehr Workawayer oder Woofer zusagte als sie eigentlich brauchten – denn normalerweise erscheinen 50 % der Leute einfach nicht und das ohne Absage. Nicht so bei unserem Besuch!
Und so bildeten wir mit Tina, einer ehemaligen gesetzlichen Betreuerin auf Sinnsuche sowie einer fünfköpfigen französischen Familie, die extra aus Südfrankreich (!!!) angereist war um Workaway zu machen das Team der Aushilfen. Nicht offiziell, aber zumindest im Herzen voll mit dabei waren noch ein kommunikationshungriges sächsisches Päärchen das im Kastanienhof urlaubte und dem unsere bunte Truppe so sehr zusagte, dass sie jede einzelne Mahlzeit mit uns zusammen einnahm. Bea: „Das hab ich in all den Jahren noch nie erlebt!“
Multitalente
Das Konzept des Kastanienhofes: günstige Gästezimmer mit Selbstversorgung und Küchenmitbenutzung, dazu bietet Bea Lehmbaukurse an. Rocco ist Informatiklehrer, aber jetzt im Sabbatjahr-vor-Ruhestand und – wie wir bei der Annahme der Post herauskriegten – sogar Dr. der Informatik!
Bea ist gelernte Baufacharbeiterin und studierte Sozialarbeiterin und ansonsten ein absolutes Multitalent. Sie spinnt Garn auf einem alten Spinnrad, gerbt Felle, stellt Seife und Salben her. Dazu kann sie ungefähr alles mit Holz und gibt seit 20 Jahren Lehmbaukurse.
Achja: Bienen, Hühner und Schafe halten und gärtnern kann sie natürlich auch. Ich werde wahrscheinlich nie das Bild vergessen, wie Bea bei nahendem Gewitter auf der mindestens fünf Meter hohen Leiter steht und die Kastanien beschneidet. „Der Kirchturm ist viel höher!“
2. Frühling für die Holzbank
Wir Helfer sind immer da, wo wir gebraucht werden. Die ersten paar Tage rupfe ich um die herrschaftlichen Buchsbäume am Eingangsweg das Unkraut weg. Chillomillo. Helge dagegen schwitzt ganz schön: Er hilft Helmut, dem mundfaulen und einzigen bezahlten Angestellten bei der Verbreiterung und Betonnierung einer Garage. Das bedeutet für Helge: Kies ranschaffen und mit dem Handmischer Beton anzurühren.
Aber wir haben immer die Wahl, denn es gibt genug zu tun! Da das einzige, was Bea nicht kann kochen ist, kochen wir reihum und helfen auch bei den Gästezimmern. Ich entdecke dank Bea meine Liebe zum Schleifen und darf mehreren Möbelstücke zu einem 2. Frühling verhelfen.

Bei Regen helfen wir beim Innenausbau. Denn das alte Bauernhaus wurde bereits 1589 erbaut und war viele Generationen in Familienbesitz. Nach dem 2. Weltkrieg wurde es jedoch enteignet und verfiel seitdem zusehens, bis Bea und Rocco es 2013 kauften. Es ist Wahnsinn, was sie in der kurzen Zeit daraus gemacht haben: Eine wundervolle Villa Kunterbunt mit knarzenden Böden und individueller Einrichtung.
Den beiden ist es sehr wichtig möglichst das zu verwenden was schon da ist, anstatt neu zu kaufen. Deswegen biegen sich ihre Scheunen vor altem Holz, Fenstern, Geräten und all dem Kram, den man irgendwann mal ganz sicher gebrauchen kann.
Im Eingang wird der Ursprungsfamilie gedacht.
So lernen wir unter anderem wie man das Schmiergelpapier einer Schleifmaschine mit der Drahtbürste wieder aufarbeiten kann. Und dass man super ökologisch mit Asche spülen und waschen kann. Denn lässt man Aschewasser ein paar Tage stehen, bilden sich Tenside – ähnlich wie Spüli, nur total biologisch abbaubar.
Unter Beas affengeduldiger Anleitung lernen wir auch, wie man Lehm ansetzt („Lehm braucht Liebe“), einen Dachstuhl mit Lehm und Holzspähnen dämmt – und darüber einen Holzboden verlegt. „Werkzeuge sind für Frauen gemacht“, sagt sie und meint damit, dass man keinen Druck ausüben darf. Julia ist hin und weg.
Gewürzt werden diese Erfahrungen durch wundervolle Kontakte mit Freunden der Gastgeber, zufälligen Besuchern, Stammkunden und den anderen Helfern. Wir werden sehr mit eingebunden: einen Nachmittag darf Julia mit Rocco zum Wakeboarding fahren. Es ist eine sehr liebevolle, gemeinschaftliche Atmosphäre.
Bea, Rocco, freuen uns sehr, euch kennen lernen zu dürfen und wollten noch einmal danke sagen für die inspirierende Erfahrung. Und, wer weiß, vielleicht sehen wir uns bald in der alten Mühle. Nicht als Workawayer (okay oder nur wenn ihr das wollt 😀 ), sondern einfach als Freunde. <3
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