Dass wir überhaupt nach Marokko gefahren sind, hat sich eher zufällig ergeben. Wir hatten Horrorstorys vorher gehört („Die Kinder werfen eure Fenster mit Steinen ein!!1!!“), so dass wir alleine zu schissig waren um rüber zu fahren.
Über Youtube erfuhren wir aber von Klaus, der seit 20 Jahren in Marokko unterwegs ist und Touren anbietet. Zufällig waren noch Plätze frei und so ging es Mitte Dezember mit der Gurke rüber nach Afrika.
Der erste Eindruck: Die spinnen doch! Da wir stundenlang am Zoll festhingen (für uns Mitte der 80er-Geborenen total ungewohnt) mussten wir nachts noch eine Stunde zum ersten Campingplatz fahren. Später erfuhren wir, dass Ausländern normalerweise dringend von Nachtfahren abgeraten wird. Aus gutem Grund!
Die Straßen teilten wir uns nämlich nicht nur mit PKW und LKWs, sondern auch mit (natürlich unbeleuchteten) Eselskarren, Reitern, Mofas und (sogar auf der Autobahn!) Fußgängern, gerne auch mehrere nebeneinander. Übrigens: Die Straßen sind überwiegend echt gut!
Inschallah! So Gott will.
Gottseidank kamen aber doch alle heile an. Wir lernten: „Marokkaner sind gläubige Muslime und beten fünf Mal am Tag. Das reicht ihnen als Lebensversicherung“, so Klaus, unser Führer. Inschallah! So Gott will. Generell sind Marokkaner ziemlich locker, was evtl. am sehr weit verbreiteten Canabis liegt.
Häuser sind zum Beispiel so gut wie nie fertig gestellt (was Helge total triggert), da man auf fertig gestellte Häuser Steuern zahlen muss. Die Männer sitzen ziemlich viel rum und trinken Tee. (Klaus:“ Ohne Frauen und Esel liefe in diesem Land NICHTS!“)
Kamele? Esel, Ziegen und Schafe!
Überhaupt, Esel: Wir dachten ja, Kamele wären ein Ding in Marokko, das suggerieren zumindest die Werbebilder. Tatsächlich haben wir die aber quasi nur dreimal als Touristenattraktion gesehen. Esel sind dagegen in Marokko so allgegenwärtig wie bei uns Hunde und ziehen ca. ein Drittel aller Gefährte. Ein Marokkaner erzählte uns sogar das Nationaltier seien… Katzen! Ratet mal wen das sehr gefreut hat…
Unschlagbar in der Anzahl sind jedoch…. Ziegen! Und Schafe! Es gibt Tausende und man sieht wenn man über Land fährt alle fünf Minuten eine Herde. Selbst wenn das Land total verdorrt ist, Ziegen scheinen immer noch was zu fressen zu finden.
Landwirtschaft gibt es dagegen fast nur im Norden, hinter jedem Berg wird Marokko wüstiger. An jedem Wasserloch explodiert die Natur und die Menschen legen Gräben an, um ihr Land zu bewässern.
Nur saisonal und regionales Essen
Für uns eine total ungewohnte Erfahrung war, dass es auf dem Land nur das zu essen gab, das gerade Saison hat. Der Gemüsehändler hatte momentan Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln, manchmal Kohl und Rüben. Viele Stände hatten ausschließlich eine Obstsorte: Bananen, Clementinen, Granatapfel, Apfelsinen oder Äpfel. (Große Basare in Städten und vereinzelte Supermärkte in Großstädten ausgenommen.)
Als wir gestern wieder in Spanien ankamen und in den Lidl gefahren sind hat es uns das Angebot fast erschlagen. Diese Auswahl!
Marokko: Was wir nicht vermissen werden
Was wir (besonders Julia) beim Einkaufen aber nicht vermissen werden ist das ewige angequatscht – werden und dass man wegen jedem Kram handeln muss. Dagegen ist es angenehm, in Spanien einfach wieder in den Supermarkt zu gehen, was man mag in den Korb zu legen, dann aufs Kassierband, Hallo Tschüs, keine Diskussionen über den Preis und das wars mit der Kommunikation.
In Marokko undenkbar: Latscht man durch eine Straße mit Verkaufsständen wollen alle dir etwas andrehen, man kriegt Dinge in die Hand gedrückt. Meistens lassen sie einen in Ruhe, wenn man sagt, dass man nichts will, aber Julias Nervenkostüm hat das ziemlich strapaziert.
Noch schlimmer, vor allem für Helge – dass wir immer das Gefühl hatten, übers Ohr gehauen zu werden, was man ja auch wird. (Preis vom Händler durch vier = Normaler Preis, und dann muss man als Touri froh sein, wenn man am Ende auf den halben Preis handeln kann).
Fantastische Landschaften
Nicht ganz unser Screenspot. Jedoch: Könnten wir uns vorstellen zumindest im Winter in Marokko zu leben? Jein. Wir haben auf jeden Fall große Lust, wieder zu kommen. Die Landschaften sind fantastisch, es ist schön warm im Winter, Lebenshaltungskosten sind günstig und die Leute sind sehr nett.
Mehr als einmal wurden wir spontan auf einen Tee eingeladen. Gerade im Süden bei den Berbern haben wir uns sehr sicher gefühlt. König Mohammed VI bestraft Taten gegen Touristen angeblich besonders schwer („Wer dir einen Stift klaut, landet mindestens ein Jahr in Haft“, so Klaus).
Sind wir die Bösen?
Andererseits sind wir immer die „Weißen“ und damit in einer besonderen Position. Viele Deutsche oder Franzosen (-Boomer) fahren in Marokko mit ihren 500.000 Euro teuren Campern in Schulbusgröße plus Anhänger mit Auto/Motorrad/Quad rum. Die Menschen leben hier dagegen oftmals noch wie bei uns im Mittelalter. Sauberes Trinkwasser, gute, moderne Schulbildung, gesundheitliche Versorgung – in Marokko alles nicht selbstverständlicher Luxus.
Wir fanden das höchst irritierend: Welches Zeichen setzt das den Marokkanern? Dass in Europa alle stinkereich sind? Die Franzosen quetschen sich dann auf minikleine Campingplätze zusammen – aus Schiss um ihren Kram und aus schlechtem Gewissen wegen der Besatzerzeit. Es ist ziemlich weird.
Sehr auffallend: Es gibt sehr, sehr viele Kinder, in jedem Haushalt wohnen durchschnittlich fünf Personen. Marokkaner sind im Durchschnitt ziemlich jung (29 Jahre, vgl. Deutschland: 47 Jahre). Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 20 %, junge Erwachsene haben oft mehrere Ausbildungen absolviert, finden aber keine Arbeit, da die Lehrgänge total veraltet sind.
Arbeitslosenhilfe gibt es nicht. Ein hoher Teil des Brutto Inlandsproduktes besteht daher aus Überweisungen aus dem Ausland (Pro Jahr fünf Milliarden Euro).
Wir können uns daher nicht vorstellen in einem Land zu leben, indem die sozialen Unterschiede so massiv sind. Trotzdem war Marokko für uns eine prägende Erfahrung. Es macht sehr demütig zu sehen, mit wie wenig Menschen auskommen können – und dennoch weitestgehend glücklich zu sein scheinen.
Wir fragen uns: Sind wir die wir reisen, Autofahren, Wasser verschwenden, kaufen, kaufen, kaufen nicht die „Bösen“?
Auch wenn wir schon versuchen weitestgehend minimalistisch zu leben tut es gut zwischendurch Mangel zu erleben. PS: Wenn ihr nach Marokko fahrt, nehmt Klopapier mit.
PPS: Selbst im Atlasgebirge hat man immer 4 G Handempfang.
Verkleideter Handymast.