„Ich bin die weltschlechteste Bäuerin“, sagt Josie, unsere Gastmutter. Natürlich ist das Koketterie. Josie, 59 Jahre alt und eigentlich aus Großbritannien hat sich mit ihrem Mann Barry im spanischen Katalonien eine eigene kleine heile Welt geschaffen. Und wenn ich sage „geschaffen“, dann meinen wir dass sie jeden Stein auf diesem Grundstück mit eigenen Händen versetzt hat.
Doch der Reihe nach. Helge und ich hatten uns überlegt dass wir gerne das Abenteuer Bauernhof ausprobieren würden. Denn vor allem Julia kann sich – in ihrer romantischen Vorstellung durchaus vorstellen später das ein oder andere Huhn und vor allem ALPACAS zu besitzen. Helge sieht es pragmatisch: Erst mal ausprobieren den Kram. Er hat selbst vor allem Lust seine handwerklichen Skills zu erweitern. Also haben wir uns für zwei Wochen bei Josie und Barry eingenistet.
Der Besuch läuft über das Programm Workaway. Dabei hospitieren Freiwillige unentgeltlich gegen Essen, Unterkunft und neue Einblicke auf Höfen oder in sozialen Projekten. Kennen gelernt haben wir das bei Steffen in Lettland.
Leider kein Hippie-Traum
Als wir Samstagsnachmittags auf dem Hof ankommen ist Julia erst einmal geschockt: Statt einem Hippiepärchen mit wildem Steinmosaik wie Gaudi im Garten erwarten uns Josie und Barry, ein resolutes englisches Ehepaar.
General George, Fatpig und Skinnypig
Mit im Team: Toby, ein gewaltiger Dobermann und Russel, ihr Terrier. Außerdem zwei Hühner, der riesige Hängebauch- Eber „General George“ und seine Schweinedamen „Fatpig“ und „Skinnypig“. Letztere sind aber momentan leider beide ziemlich abgemagert, weil der Tierarzt ein „stupid ashole“ (Josie) ist und den beiden eine viel zu hohe Dosis Medikamente gegeben hat. Deswegen stehen sie noch Wochen später ziemlich zittrig auf den Beinen und verweigern überwiegend ihr Essen.
„Russel“ „Toby“
„Always be yourself unless you can be a dragon“
Abends flossen bei Julia erst mal ein paar Tränchen: Vor allem Josie ist im ersten Moment wahnsinnig einschüchternd, sie bezeichnet sich selbst als den „Dragon“, Barry hat dagegen im Haus eine illustre Auswahl historischer Waffen verteilt. Er ist ehemaliger Soldat und hat unter anderem bei der Entschärfung von Landminen in Saudi-Arabien gearbeitet.
Der erste Arbeitstag beginnt für uns ungewohnt früh: Um 7.30 Uhr stehen wir auf und bekommen von Barry einen original englischen Tee. Anders als in der Internetbeschreibung angegeben ist die Arbeit jedoch nicht so schwer körperlich wie von Julia befürchtet. Wir kümmern uns um die Tiere und pflücken den Rest unserer täglichen fünf Arbeitsstunden Oliven.
Meditatives Oliven-Pflücken
Was sollen wir sagen? Es macht tatsächlich total Spaß! Oliven sind nicht so empfindlich wie Früchte und man kann sie einfach vom Baum pflücken und auf den Boden fallen lassen. Die Arbeit erfordert kaum Hirn (man darf nur nicht auf sie drauf treten) und hat etwas sehr meditatives. Wir könnten uns das hier auch als Retreat-Seminar für ausgeburnte Großstädter vorstellen, sehr relaxed. Vor allem mit der Ruhe und dem fantastischen Gebirgs-Ausblick den Josie und Barry haben.
Nach dem ersten Schock entpuppen sich Josie und Barry als phantastische Gastgeber. Sie sind schlau, lebenserfahren und wahnsinnig witzig. Josie hat einen unerschöpflichen Vorrat an skurrilen Geschichten auf Lager, die sie gerne und mit viel schauspielerischem Talent zum Besten gibt. Es gibt jeden Tag zweimal warmes Essen – so lecker und abwechslungsreich wie im Restaurant. Und wir lernen so viel!
Kleine Auflistung der Dinge, die wir unter anderem lernen:
- Wie man eine Mauer aus Natursteinen baut (Josie: „Die Steine müssen zu dir sprechen, sonst klappt es nicht“)
- Oliven bringen ca. 38 Cent das Kilo. Die Farm hat dieses Jahr rund zwei Tonnen
- Hühner legen in manchen Jahren kein Ei, Bäume haben in manchen Saisonen keine Oliven. Josie lässt sie trotzdem gewähren und wird im nächsten Jahr belohnt. Deswegen sagt sie, sie sei die schlechteste Bäuerin. Sie setzt die Lebewesen stets vor Wirtschaftlichkeit. Trotz ihrer harten Schale achtet und schätzt sie jedes Geschöpf sehr. Zum Beispiel bedanken wir uns bei den Olivenbäumen.
- Olivenbäume braucht viel Zeit zum Wachsen, tragen erst nach ca. 20 Jahren richtig. Dann können sie jedoch mehrere hundert Jahre alt werden. Das älteste bekannte Exemplar in Griechenland wird auf 4000 Jahre geschätzt.
- Wir lernen wie man Brauchwasser aus der Küche wieder aufarbeitet sodass man es zum Blumengießen benutzen kann
- Helge darf unter Josies scharfen Augen die Kettensäge ausprobieren
- Es gibt viele Ausländer aus Deutschland und England, die hier in Spanien ein Stück Land mit einem Häuschen kaufen – gerne um die 50-jährige. Das Problem, das viele nicht bedenken: Ist das Land als „Farmland“ ausgewiesen, muss es auch so bestellt werden. Lässt man die Oliven an den Bäumen oder verwildert das Grundstück kann es einem weggenommen werden. Dann bekommen es die Nachbarn – oder es wird zum Naturschutzgebiet umbenannt.
- Julia hat keine Angst mehr vor Hunden, auch nicht vor Großen! Wir waren sogar bei einer Freundin von Josie die 19 Hunde hat und es war total okay!
Hunde-Content
Josie ist ein wahres Multitalent: Sie kennt sich mit Tieren und Pflanzen aus, ist wahnsinnig lebensklug und sarkastisch und versteht es, idiotische Personen nachzumachen. Mit über 200 Workaway-Leuten aus allen Gebieten der Erde die sie vor uns beherbergt hat kann sie dabei aus dem Vollen schöpfen.
Unsere liebsten Geschichten:
- Die Leute, die Spaß an der Kettensäge hatten und mehrere Olivenbäume beim „Winterschnitt“ so verstümmelt haben, dass sie jahrelang keine Früchte mehr geben werden.
- Das Mädchen das ausschließlich Käsesandwich aß, der dünne Junge der den immer prall gefüllten Kühlschrank leer futterte – und dessen Hobby es war „wie eine Spinne“ (Josie) aufs Dach zu klettern.
- Das Paar das sich während des Aufenthaltes bei ihnen trennte.
- Die Leute die am Freitag kamen (am Wochenende ist frei), das Essen genossen und Montagmorgens verkündeten dass sie es sich doch anders überlegt hatten und abreisen wollten.
- Das Mädchen das bei 30 Grad mit Föhn, Lockenstab und Glätteisen anreiste – und wieder abreiste weil sie nichts davon benutzen konnte. Josie und Barry beziehen ihren Strom auch für Laptop und Kühltruhe ausschließlich über drei Solarpanel.
- Der Typ, der heimlich kiffte, die Hunde anschrie und nicht aufhörte Josie und Barry damit zu nerven ihm das „Attacke-Wort“ für den Dobermann zu verraten – damit er es nicht „aus Versehen“ sage.
Wir sind sehr froh dass das Schicksal uns zu Josie und Barry geschickt hat, denn die beiden haben uns in unserer „Zukunftssuche“ ein großes Stück weiter gebracht. Wir wissen jetzt noch eher was es bedeutet, autark ohne Wasser- und Stromanschluss und Kanalisation zu leben und können es uns trotzdem für uns vorstellen.
Auch Tiere können Arschlöcher sein
Es ist zwar wundervoll Tiere zu besitzen, aber man kann so so sooo viel falsch machen. Und: Tiere können Arschlöcher sein – wie der wild gewordene Hahn der Leuten ins Gesicht gesprungen ist um ihnen die Augen auszukratzen und der die Hennen vergewaltigte. (Julia: Und was hast du mit ihm gemacht? Josie: Coq au vin.)
Tiere würden uns derzeit noch zu sehr in unserer Freiheit einschränken, weshalb sie für uns momentan nicht in Frage kommt. Aber wir haben Mut bekommen, auch selbst an unserem Zukünftigen Haus herumzubasteln – Josie hat ihr Haus mit ihrem Sohn fast alleine gebaut.
Helge will selbst Gastvater sein
Wir finden das Prinzip „Workaway“ super und würden es jederzeit wieder machen. Helge freut sich auch schon darauf selbst verrückte Leute aus aller Welt als Gastvater zu beherbergen.
Was wir auch lernen und was nicht so einfach zu verdauen ist: In einem fremden Land ist man ein leichteres Opfer für Kriminelle. Josie und Barry haben schlechte Erfahrungen gemacht mit Leuten, die sie um viel Geld betrogen haben.
Das ist der Vorteil, wenn man wie unsere Eltern sein ganzes Leben lang in einer Region wohnt, sie wissen wem man vertrauen kann – oder können bei Bedarf nachfragen. Josie nimmt es pragmatisch, verweist auf Kampfhund und Baseballschläger hinter der Haustür. Und sie gibt uns auf den Weg: „Vertrau Menschen nur so weit wie du sie schmeißen kannst!“
4 Comments
So was geht auch in der Eifel:
https://www.immowelt.de/liste/landkreis-bitburg-pruem/haeuser/kaufen/bauernhaus
Ja, aber gibt es da Internet? 🙂
Die Immobilienmaklerin hat mir verraten, dass der Raum Bitburg-Prüm aktuell mit einem Glasfasernetz ausgestattet wird und bis Ende nächsten Jahres alle“Löcher“ gestopft werden.
Cool, wenn das wirklich durch ist können wir noch mal überlegen.