Da die Esten die wir kennen gelernt haben die Frage nach Lettland höchstens mit einem Schulterzucken beantworteten fuhren wir mit der Erwartung, nach ein, zwei Tagen „durch“ zu sein nach Lettland. Jetzt sind wir seit zwei Wochen hier und können immer noch nicht genug bekommen.
Hier die Pros und Kontras unserer Zukunftssuche in Lettland:
Pro 1: Die Natur.
Und die Einsamkeit. Es ist überwältigend. Es sieht überall aus wie ein f***ing Nationalpark. In diesem Land, 1/3 kleiner als Österreich leben im Sommer 10 % aller Störche weltweit.
Lettland hat nur knapp zwei Millionen Einwohner (die Ösis haben knapp 9 Millionen). Es ist winzig und hat eine der niedrigsten Bevölkerungsdichten der EU. Keine Menschen -> keine Bodenversieglung mit Häusern, Straßen, Einkaufszentren, Parkplätzen. Wir mögen das.
Lettland hat eine beeindruckende, unberührte Natur:
Pro 2: Die klimatischen Zukunftsprognosen:
Schaut man sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die europäischen Länder an, will man eigentlich nur noch weinen in Estland, Lettland, Litauen oder Skandinavien leben.

Da Lettland aber
Pro 3: Gut und günstig
ist, kommt für uns eigentlich „nur“ das Baltikum in Frage. Wir haben uns aus Spaß ein f***ing 47ha (das sind 60 Fußballfelder!!!11!!) großes Grundstück angeschaut. 30km von Riga entfernt. Zwischen zwei Nationalparks. Mit 500 m Flusslinie, drei Seen, verschiedenen Klimazonen (Nadel-, Laub-, Mischwald, Moor, Steppe, Wiese, usw.) und einem Bächlein mit Bibern.
Mit einem 300qm großen Steinhaus mit Gewölbekeller und einem Meter dicken Wänden. Für 280 000 Euro Verhandlungsbasis. Spoiler: Wir werden es nicht nehmen, weil -> siehe Nachteile <- aber es ist trotzdem krass so eine Möglichkeit zu haben.
„Unser“ Grundstück:
Pro 4: Freiheit:
Wir haben den deutschen Auswanderer Steffen kennen gelernt, der in Ost-Lettland sehr erfolgreich Ziegenkäse herstellt. Er sagt: „Lettland ist eines der freiesten Länder der EU und für mich die perfekte Mischung aus Ost und West. Wenn du eine Idee, einen Traum hast, dann verwirkliche ihn hier.“ Er hat sich in acht Jahren ein beeindruckendes Paradies geschaffen. Schaut euch die Bilder an.
Steffens Bullerbü:
Steffen sagt außerdem: Als Deutscher hast du gegenüber Letten massive Vorteile. Und das liege an der:
Kontra 1: Mentalität.
Es ist kompliziert. Man muss es mögen. Sagen wirs mal so: Stalin hat hier ziemlich gewütet. 1950 wurden mit einer „Aufräumaktion“ Tatsachen geschaffen. Die intellektuelle Elite hatte schon längst das Weite gesucht, noch heute leben mehr lettische Nachfahren im Ausland als in Lettland. Die Landbesitzer wollten und konnten Haus und Hof aber nicht verlassen. Da Russland sich die widerspenstigen Letten (viele Partisanen) vom Hals schaffen wollte, wurden die Grundbesitzer nach Sibirien deportiert. Zurück blieben die einfachen Knechte und Landarbeiter, die auf die Höfe verteilt wurden.
Unser Freund Steffen dazu: „Und dass sie und ihre Nachfahren keine Ahnung von nichts haben, merkt man noch heute. Wenn die etwas anfangen, verlieren die nach kürzester Zeit die Lust.“ Er sagt, es sei sehr schwer, zuverlässige Mitarbeiter für seinen Bauernhof zu bekommen, da „alles was ein Busticket lösen“ könne, nach Westen ziehe.
Noch heute verlassen die gebildeten Menschen in Scharen das Land, zu unsexy ist die lettische Provinz.
(Positive Ausnahme: Hipster-Stadt Cēsis. So schön. Tolles altes Schloss.)
Ähnliche Verhältnisse eben wie bei uns in der ehemaligen DDR. Weil viele weg wollen sind Grundstückspreise auch so wahnsinnig niedrig. Auf dem Land kostet ein Hektar 1000 bis 1500 Euro. Selbst in Brandenburg sind es zehn Mal so viel.
Pro 5: Paradies für Anpacker:
Steffen sagt (und lebt vor), man habe als Deutscher mit Ideen auch massive Vorteile. Es sei (wenn man fleißig sei und Ideen habe) sehr leicht sich in Lettland ein gutes Geschäft aufzubauen – es gebe schlicht kaum Konkurrenz. Und: Man könne einfach starten, ohne wie in Deutschland massive bürokratische Einschränkungen zu fürchten. Ein Paradies für Anpacker also. Was uns aber stört:
Kontra 2: Klüngeln, Tricksen und (positive) Korruption
In Lettland dürfen Privatpersonen eigentlich „nur“ 10 Hektar kaufen. Für die von uns angeschauten königlichen 47 Hektar Land müsste man also eine forst- oder landwirtschaftliche Ausbildung haben. Eigentlich.
Der Makler wischt unsere Bedenken vom Tisch: Es sei ganz einfach: Wir sollen eine GmbH gründen.
Das dauere nur fünf Minuten. Und die dürfe wiederum so viel Land auf einmal besitzen. Alternativ könnten wir auch einen „Verwalter“ mit der entsprechenden Ausbildung anstellen. Selbst Baugenehmigungen, Denkmalschutz, Baupläne gäbe es zwar, werden nicht besonders ernst genommen, sagt man uns.
Wir sind aber skeptisch-deutsch: Was wenn man sich sein Nest gebaut hat und dann auf einmal jemand vor der Türe steht, der einem das Hab und Gut wegnehmen will? Wir hören von Fällen, wo enteignet wurde… und als Ausländer malen wir uns da unsere Chancen eher schlecht aus.
Kontra 3: Die Russen sind da
Nennt uns rassistisch, aber uns ist die russische Kultur mit ihren Männer-Frauen-Stereotypen ziemlich fremd. Besonders in Riga fühlten wir uns in manchen Stadtvierteln unwohl. 50 Prozent der Einwohner in Riga sollen Russen sein, selbst der Bürgermeister gehört dazu. Schon mittags haben wir viele muskulös-grimmige Männer mit Bierflaschen gesehen. Das Thema Russland ist wohl selbst geschichtlich gesehen ein ziemliches heißes Eisen in Lettland und auch im Parlament wird um Mehrheiten gerungen.
Riga: Schöne Stadt mit vielviel Jugendstil.
Da ist uns Estland mit seiner klaren Pro-West und „Wir fühlen uns Skandinavien zugehörig“-Mentalität näher. Schade! Die Natur ist schon am tollsten hier. Oder wie Steffen sagt:
Von der Natur her ist Lettland nach Rumänien das wildeste Land Europas.
Fazit zum Leben in Lettland:
Wer anpacken kann und davon träumt ein eigenes kleines Unternehmen aufzubauen, wer Lust auf Einsamkeit und viel, viel Natur hat, für den ist Lettland optimal. Total beeindruckendes Vorbild für uns ist da Steffen, der Neu-Letten gerne zur Seite steht. Einfach anschreiben, besuchen und kiloweise leckeren Käse bei ihm essen. Toller Typ!!!