Klimakrise, Plastik im Meer, Spaltung der Gesellschaft – es gibt gerade so viel Drama über uns herum, dass es einem übel werden kann. Einer aktuellen Reuters-Studie zufolge fühlen sich immer mehr Menschen auch von der Menge der Nachrichten erschöpft – und meiden sie deshalb aktiv. Dann doch lieber Netflix und chill und den Kopf in den Sand stecken. Wir nehmen uns da nicht aus.
Aber: Zufällig stolperten wir in Estland in einen Workshop der Community Lilleoru und wurden von der Organisatorin Ave eingeladen. Das Thema: „Education and sustainability“ – Wie man nachhaltige Ideen (im Unterricht) anstoßen kann.
Gehalten wurde der Workshop von Gunter Pauli. Der Name sagte uns Plebs erstmal nichts. Später stellte sich heraus, dass er als Steve Jobs der Nachhaltigkeit gilt und die UN berät.
Paulis Blue Economy Education Programm vereint Wissenschaft, Öko-Kreativität und emotionale Intelligenz und entwickelt Kreativität und Unternehmertum. (Mehr.)

Doch erstmal ging es Pauli, der auch zahlreiche Fabeln geschrieben hat um:
Storytelling: Gute Geschichten, schlechte Geschichten
„Jeder liebt Geschichten!“ Und was mache, so Pauli, eine gute Geschichte aus? Die Überraschung. „Deswegen verpacken wir auch an Geburtstagen die Geschenke.“
Und schlechte Geschichten? Das sind diejenigen, von denen wir das Ende im Vorhinein verraten. „Das macht uns gleichgültig.“ Gunter Pauli vertritt die Meinung, dass gute Geschichten Energie in uns freisetzen, schlechte aber lähmen. Klingelts?
Ein Beispiel: „Die Geschichte vom Weltuntergang wird uns seit Jahrzehnten erzählt. Wir wissen, wie das alles ausgehen wird. Hat es dazu geführt, dass wir unser Verhalten ändern?“
Muster einer guten Geschichte: „Hüpfen!“
„Gute Geschichten werden nicht linear erzählt, das ist langweilig. Wir müssen springen: Vom Möglichen zum Unmöglichen und zurück.
Ein Beispiel: Japan ist führend in Robotertechnologie. Das könnte mit populären japanischen Comics zu tun haben – darin spielen Roboter oft: Die Helden! „Seien wir wie Kinder: Sie haben Weitsicht und Phantasie und vertrauen darauf, dass alles möglich ist.
“Etwas bewegen: Mehr Probleme, bitte!
Gunter Pauli ist nicht nur Geschichtenerzähler, sondern auch der Erfinder der „Blue Economy“. Das ist ein Konzept, das die Ökosysteme der Erde schützen und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen soll.
Ein Beispiel: Eine Küste in Marokko, jahrtausendelang guter Fischgrund, sei innerhalb von nur 30 Jahren leer gefischt worden, schlimmer: Mit Schleppnetzen sei der komplette Meeresboden zerstört worden. Katastrophe. Statt Fischen fänden sich im Wasser nun Plastik, besonders Mikroplastik. Es gibt also viel Salzwasser, viele Algen und (Mikro-)Plastik.
Was könne man damit machen? – „Wir erzeugen Nachfrage.“ Algen könnten in Kosmetik, als Gericht, fermentiert als Gas oder als Dünger benutzt werden. Trockne man Algen bleibe das Salz in ihnen und man hat Trinkwasser. Und: Mikroplastik setze sich in den Poren von Algen ab. Werden diese geerntet, wird das Mikroplastik mit an Land gezogen. Aus dem Plastik könne man Petroleum herstellen.
Viele Algen bedeuten auch wieder mehr Fische. Denn Fische könnten sich in den Algen verstecken. „Die Natur wertet nicht. Alles hat seinen Platz und ist alles miteinander verwoben. Wir müssen die Natur dazu bringen, wieder in Gang zu kommen.“
Kurz: 1. Was haben wir für Probleme? 2. Was machen wir jetzt damit? 3. Die Natur kriegt alles hin! (Im Gegensatz dazu was ich im Journalismusstudium gelernt habe: 1. Finde ein Problem 2. Finde den Schuldigen.)
Ein weiteres Beispielprojekt: Orangensaft Firmen, die tonnenweise Orangenschalen als Abfallprodukt hatten. Bis jemand auf die Idee kam, Reiniger aus den Schalen herstellen. Die wirken mit ihren ätherischen Ölen desinfizierend und riechen lecker.
Laut Pauli sei es wichtig, Dinge mit Hilfe von Naturwissenschaften zu entmystifizieren. Zum Beispiel Plastik. Woraus werde Plastik erstellt? Öl und Zucker. Oder: Lampen, die mit Schwerkraft funktionieren. Papier aus Steinmehl. Brasilianische Millionenstädte, die Bürger mit Bustickets und Essen für Mülltrennung belohnen. Hört sich unglaublich an? Gibt es aber!
Logik und glitzernde Augen
Mit Google und Smartphones haben wir ja bekanntlich das Weltwissen in der Hosentasche. Aber: Macht uns das intelligent? Intelligenz bedeute, so Pauli, dass wir uns nicht nur mit dem Frage-Antwort-System zufrieden geben, sondern uns auf die Suche nach der Logik, nach Verbindungen begeben. Logik könne nicht durch Worte übermittelt werden, man müsse sie sich selbst erschließen, Zusammenhänge finden. Ob das geglückt sei sehe man sofort: „Am Glitzern in den Augen!“
Störche bringen doch die Babys
Ein Beispiel: Afrikanische Mücken setzen sich mit Vorliebe auf dicke Nashorn-Haut. Das juckt! Genauso wie bei Menschen, nur dass sie sich nicht kratzen können. Abhilfe schafft da nur ein ausgiebiges Bad im Schlamm. Daraus entstehen Kuhlen im Boden, die bei Regen zu kleinen Seen werden. Aber: Wie kommen da Fische und Frösche hin, wenn es doch keine Verbindung zu einem Bach gibt?
Störche! Die waten durch fischreiche Seen. Dabei bleiben manchmal ein paar Fisch- oder Froscheier an ihren Füßen kleben. Und wenn sie dann bei unserem neuen See Halt machen… bringen sie ein paar neue Frosch- oder Fischbabys mit. <3
Wenn das keine Überraschung ist. 🙂

Wir freuen uns so, dass wir die Gelegenheit hatten, bei diesem Workshop dabei zu sein. Sowohl für Julia als Storytelling-Input als auch als Inspiration für uns beide. Außerdem haben wir viele spannende Menschen kennen gelernt. Zum Beispiel Mihkel, der Strohhalme aus Reet herstellt. Viele, viele interessante Esten und auch Silke, die aus Trier nach Tallinn gezogen ist. 🙂 Vielen Dank dafür!