Zuerst waren wir etwas enttäuscht von Kopenhagen. Das sollte eine der grünsten, eine der lebenswertesten Städte der Welt sein? Okay, überall gibt es hippe Elektroroller zum Ausleihen (gegen die wir uns nach einem kurzen Experiment aber entschieden haben. Die. Sind. so. schnell. Wir mögen unser Leben!).
Gut, die Fahrradwege sind wirklich omnipräsent und fast so breit wie ein Auto-Fahrstreifen. Manche Hauptstraßen wurden zur Einbahnstraße umgebaut. Statt der Gegenspur gibt es jetzt eine fette Fahrradspur. Die Bequemlichkeit der Autofahrer steht ganz klar hinten an in Kopenhagen.
Aber das kennen wir alles aus den Niederlanden.
Der zweite Blick: Coole kleine und große Designerläden haben mindestens so viel Raum in der Innenstadt wie die großen Ketten. Was super ist, besonders für Leute, die gerne Shoppen. Für uns hat der gute dänische Geschmack aber nicht mehr als einen Museumswert. Denn wir wollen ja möglichst nicht noch mehr besitzen!!
Daher waren wir erst mal nicht so geflasht. Es muss doch noch mehr geben, das Dänemark und Kopenhagen so lebenswert, so einzigartig macht! Vielleicht muss man genauer hinschauen.
Wir begeben uns also auf die Suche. Unsere Hypothesen:
1. Ein Land ist nur so reich wie die Ärmsten
In Dänemark bezahlt man so gut wie immer mit der Kreditkarte statt mit Bargeld. Was bedeutet das für Bettler?, fragen wir James, der seit 10 Jahren selbstgewählt in Kopenhagen lebt. Die Antwort: „Die Armut in Dänemark ist sehr niedrig, es gibt ein gutes Sozialsystem.“ Und tatsächlich sehen wir keinen einzigen Bettler auf den Straßen, auch nicht in den Vororten.
Maslowche Bedürfnispyramide. Quelle: Wikipedia.de
Und was passiert, wenn auch bei den Ärmsten die Grundbedürfnisse gedeckt sind? Laut der Maslowchen Bedürfnispyramide steht als Oberstes die Selbstverwirklichung.
2. Selbstverwirklichung für alle
Sich als Reicher selbst zu verwirklichen, ist leicht. Egal in welchem Land man lebt. Man kann sich riesige Gebiete kaufen, einzäunen, wilde Tiere aussetzen und abknallen. Sich als armer Mensch selbst zu verwirklichen, ist schwer. In Dänemark gibt es aber ein phantastisches Beispiel: Kristiania.
Vor über 40 Jahren bezogen einige Hippies und Freidenker ein altes Industriegelände in Kopenhagen. Irgendwer hatte Wasser und Strom angelassen. Sie gründeten ihr eigenes Utopia: den selbsternannten Freistaat Kristiania. Obwohl mitten in der Stadt, wollten sie unabhängig von Kopenhagen, von Dänemark, mittlerweile auch von der EU sein. Niemand zahlt Steuern, sie leben ihre eigenen Regeln. Die wichtigsten: Keine Waffen, keine Gewalt und keine harten Drogen.
Wir waren dort und man fühlt sich wirklich wie auf einem Festival. Aus meiner Köln-Zeit kenne ich Ketan, der in der Südstadt auf einem Brachgelände ein ähnliches Projekt hatte. In Köln sind aber irgendwann die Bagger gekommen und haben alles platt gemacht. Uns imponiert, dass Dänemark so liberal ist, ein solches Projekt gewähren zu lassen.
3. Teilhabe
Unsere Stadtführerin Ricke erzählte uns, dass es einen multikulturellen Stadtteil in Kopenhagen gebe, bei dem die Bürger aufgerufen waren, aus ihrem Land Ideen einfließen zu lassen. Die Idee, oder zumindest den Ansatz der Teilhabe mögen wir.
4. Stolz
Eines der tollsten, zentralsten, geschichtsträchtigsten, innerstädtischen Gebäude (siehe Bilder unten) steht gerade zum Verkauf. Mc Donalds soll 100 Millionen Euro geboten haben. Die Kopenhagener haben abgelehnt.
Auf Zukunftssuche in Kopenhagen

Aus Interesse haben wir uns noch zwei besondere Wohngegenden in Kopenhagen angeschaut. Erstens einen Stadtteil, bei dem die Straßenzüge im Kreis in Form einer Pizza angelegt wurden. Jede Familie hat ein „Pizzastück“. In der Mitte befindet sich ein Parkplatz, die Grundstücke sind anfangs sehr schmal und verbreitern sich zum Rand hin.
Obwohl relativ nahe bei der Stadt ist ziemlich viel grün auf dem „Pizzablech“. Hier einige Bilder von oben, von unten kommt das nicht so toll rüber.
Die Menschen leben sechs Monate im Jahr dort – mehr ist nicht erlaubt und wohl auch zu kalt, denn die Häuschen sind etwas größere Gartenlauben. Wir durften uns eine Parzelle ansehen – es ist schon sehr hübsch und uns gefällt die Gemeinschaft. Es ist allerdings eher klein und von außen wirkt jede „Pizza“ ziemlich abgeschottet. Und: jeder Nachbar kann genau einsehen, wer kommt.
Als zweites den neuen, modernen Stadtteil Vestamager.
Überall wird noch gebaut, aber einige Hochhäuser sind schon fertig. Architekturfreunden wird hier das Herz aufgehen: Jedes Hochhaus ist in einem unterschiedlichen Design.
Wichtig waren auch die kurzen Wege: Eine Schule, ein Kindergarten, ein Supermarkt, Bars und Restaurants sind Fußläufig zu erreichen. Der Clou: Ein riesiges Naturschutzgebiet mit verstreuten Kunstobjekten zum Draufrum-Klettern, ein Teich, ganz viel Grün.
Toll vor allem für die, die (noch) in der ersten Reihe wohnen. Wohnungen kosten, wir haben uns natürlich schlau gemacht, gerne mal knapp eine Million Euro.
Hipstertraum oder Plattenbau?
Es sieht echt mega aus. Zumindest genau jetzt in diesem Moment. Wird es nicht bald ein hipperes Stadtviertel geben? Im Ohr haben wir zudem die Stimme von Fred, Helges Stiefvater aus dem Osten. Er meinte: „Als die Plattenbauten gebaut wurden, wollte ich unbedingt dort einziehen. Es war das modernste vom Modernen. Jeder hatte Strom und ein eigenes Badezimmer.“
Übrigens: Schule, ein Kindergarten, ein Supermarkt, Bars und Restaurants waren auch in der Platte fußläufig erreichbar.