Um herauszukriegen, was wir noch dringend brauchen haben wir dieses Wochenende eine Probefahrt in die Eifel unternommen. Spoiler: Seit gestern Nachmittag sind wir zurück und Helge tigert durch die Gegend wie eingesperrt und jammert und motzt die ganze Zeit: „Ich will in die Gurke zurück…“ War aber auch schön.
Der Reihe nach. Zuerst sind wir zum „Decke Tönnes“ gefahren. Das ist eine kleine Kapelle im Wald in der Nähe von Bad Münstereifel. „Eine Kerze beim »decke Tönn« anzuzünden ist für die Einheimischen dort ungefähr genauso selbstverständlich, wie das Schmieren des Frühstücksbrötchens am frühen Morgen.“ Zitat Nordeifel.de
Die Kapelle des „Heiligen Antonius“ in der Nähe von Bad Münstereifel Läuft.
Helge hatte zuerst keinen Bock, aber ich habe ihm dann erklärt, dass es gar nicht zur Diskussion steht, dass wir den Heiligen Antonius eine Kerze hinstellen und um einen Segen für die Gurke bitten. Als wir dann da waren, war Helge total geflasht, wie viele Kerzen da standen und was für ein Betrieb vor Ort (Mitten im Wald) war.
Betrieb war in der Nordeifel ziemlich viel. Es war Karfreitag und wahnsinnig gutes Wetter, was Scharen von Motorradfahrern und wie uns Camper anzog. Abenteuerlich waren vor allem die Serpentinen, also engen Berggässchen und Haarnadelkurven für die Gurke.
Ein Stückchen weiter bogen wir irgendwann einfach in einen Waldweg ein, der nicht für Autos gesperrt war und genossen zum ersten Mal das Campen abseits der Campingplätze mit der Gurke. Was sollen wir sagen? Es ist phantastisch. Draußen sein, den Wind spüren und die Vögel hören, das fühlt sich wahnsinnig natürlich an. Wir entspannten sofort. Obwohl es nicht besonders malerisch bzw. instagramable war.
Beim Spazieren gehen sahen wir ein paar Rehe und (juhuuuu) sogar zwei Ameisenhaufen (love, love, love). Nachts beim Pinkeln um vier Uhr hörte ich Wildschweine quicken.
Samstags fuhren wir nach Gerolstein und kraxelten zur „Buchenlochhöhle“, eine riesige Höhle inmitten eines Naturschutzgebietes.
Die Buchenlochhöhle.
Ich hasse ja grundsätzlich Sport, aber dieses Rumgewander mit kleinen Fotopausen finde ich echt nett. Unsere 10 000 Schritte haben wir an dem Wochenende jeden Tag locker geschafft – ohne dass es sich danach angefühlt hätte. A pros pros: Anschließend hatte ich uns „Ziplining“ gebucht. Dabei hängt man sich in eine Kletterausrüstung ein. Der Unterschied: Weniger Klettern und mehr Seilrutsche – in 50 Meter über ein Tal. War auch echt super.
Um das Rumgehänge komplett zu machen schliefen wir in der Nacht in drei Meter Höhe in einem Baumzelt. Hört sich tatsächlich besser an als es ist. Mit zwei Personen hängt man die ganze Zeit mittig in einer Kuhle und kann sich kaum bewegen. Das Schöne aber: Wir konnten Eichhörnchen beim Knabbern zuhören und statt Schäfchen zu zählen konnten wir das Blöken der Lämmer zählen. Ich glaube ja, da einer Sache auf der Spur zu sein. Ich fand Schäfchen zählen schon immer voll abwegig, weil man beim Einschlafen doch die Augen zu hat… (???!!!11?) aber „Mäh“s zählen klappt super.
Helge inspiziert So sieht das dann von innen aus #Weltfernsehen Zerknauscht, aber glücklich Das Poserbild für #Insta
Am nächsten Tag gewann ich dann noch beim Minigolf (Scherz.) Weil wir von der unbequemen Nacht etwas erledigt waren ging es nur kurz weiter, in die Nähe des Ernstberges nach Daun. Der Ernstberg ist nach der „Hohen Acht“ mit 699 m der zweithöchste Berg der Eifel.
Über die App „park4night“ wurden wir auf einen kleinen Waldweg geleitet. Eine Wiese mit toller Aussicht und einem kleinen Wäldchen – wir waren total happy.
Helge baute zum ersten Mal unsere Hängematte auf und säbelte mit dem Taschenmesser ein morsches Ästchen BAUM ab. Ich hielt Ausschau nach Essbarem (Brennnessel und der ewige Traum von Bärlauch). Es war knackeheiß und wir genossen die Ruhe.
Chillomillo
Also (fast) alles richtig schön, entspannt. Trotzdem kamen ein paar Irritationen auf. Wir haben dutzende Jäger-Hochstände gesehen. Kennt sich da jemand mit aus? Ich habe Fragen: Muss das so, dass alle 100 bis 200 Meter einer steht? Wie viel ist Muss und wie viel ist Spaß am Töten?
Zwei Mal haben wir auch ganz frisch gesehen, dass Bäume abgeholzt und weggeräumt wurden um künstlich eine Lichtung zu schaffen. Sieht man die Spuren von schwerem Gerät im Boden ist das schon schockierend. Nennt mich naiv, aber ich kannte Wald bisher vor allem als Naherholungsgebiet, in den letzten Wochen haben wir einige Male von Menschen komplett unberührte Wälder gesehen.
Dagegen war der Wald in Daun in Reih und Glied angelegt, alle Bäume gleich groß gewachsen. Am schockierendsten: Komplette Flächen dieser Monokulturen waren tot. Kaum ein Vogel sang, es gab keine Blätter, keine Knospen an den Bäumen. Der Waldboden in Gegenden der höheren (Nadel-)Bäume war aufgerissen wie eine Wunde. Es war echt ein Gemetzel. Überall gefällte Fichten und die Restlichen teilweise umgeknickt. Der Waldboden total karg.
Ich hab mich ein bisschen schlau gemacht, finde das extrem spannend und zitiere aus der Eifeler Forstgeschichte (wer darauf keine Lust hat, scrolle runter):
„Wie die Forstgeschichte der Vulkaneifel belegt, […] bestehen die naturnahen Waldgesellschaften des Gebietes aus reinen Laubwäldern ohne jeglichen Nadelholzanteil.“ […] Doch dann habe die „Eifelbevölkerung im Mittelalter aufgrund ökonomisch schlechter Bedingungen den vorhandenen (Anm.: – noch naturnahen – ) Wald durch Waldweide und v. a. Laubstreunutzung extrem übernutzt, was dazu geführt hätte, dass die Waldböden verarmten. Folge davon sei die Erfordernis des Anbauens von anspruchsloseren Nadelhölzern gewesen. Auch die extrem ungünstigen Wetter- und Temperaturbedingungen der Vulkaneifel werden als Grund mitaufgeführt.“
„So kam es schließlich dazu, dass neben der „passenden“ Weißtanne auch andere – nicht hineinpassende – Nadelholzarten wie Fichte, Lärche, Douglasie und Kiefer angepflanzt wurden. Der Waldbau in der Vulkaneifel wurde also in der (auch jüngsten) Vergangenheit nicht in erster Linie in ökologischer, sondern in ökonomisch-wirtschaftlicher Hinsicht betrieben; ökologisch-soziale Aspekte fanden nur insoweit Berücksichtigung, als sie bei der ausgeübten Bewirtschaftungsart akzeptabel waren (Wenzel 1975). Schließlich gewann der Nadelholzanteil das Übergewicht.“
Ich mutmaße, dass der Sturm und die Hitze des letzten Jahres dem Wald extrem zugesetzt und anfällig für Schädlinge gemacht hat. Denn die Bäume sahen aus, als wären sie innerlich verbrannt. Es war wirklich gespenstisch. (Mehr zum aktuellen Zustand des NRW-Waldes habe ich hier gefunden)
Um wieder die Kurve zu etwas Positivem zu bekommen: Es war insgesamt trotzdem eine tolle erste richtige Tour mit unserer Gurke.
Unsere Freundin Tina meinte mal: beim Camping schraubt sich alles auf die Grundbedürfnisse zurück. Wo stehen wir sicher? Wo gehe ich auf Klo? Wie wasche ich mich? Helge schafft es, sich mit 0,3 Liter Wasser komplett zu duschen (er ist ohnehin unser Wasser-Nazi und hat große Freude darin, jeden unnötigen Tropfen zu vermeiden). Ich mache Katzenwäsche und freue mich auf Duschtourismus bei meinen Eltern.
Und: Man macht alles bewusster. Wenn ich koche habe ich normalerweise oft nebenbei ein Handyspiel und einen Podcast laufen, wegen der Wartezeiten. In der Gurke geht das wegen des Gasherds nicht und auch weil ich aufpassen muss, dass wegen des unebenen Untergrunds auf dem wir stehen alles gleichmäßig warm wird.
Wenn wir lesen, dann lesen wir. Oder wir dösen in der Hängematte. Wir waren das ganze Wochenende draußen. Wir haben beobachtet wie die Sonne wandert, die Schatten sich ändern und die Sterne aufgehen. Man ist einfach näher dran. In der Wohnung ist es egal, ob es regnet, dunkel oder kalt draußen ist. Ich hätte nie gedacht, dass das so viel gibt. Und wenn es nur ist, morgens aus der Gurke zu beobachten, wie die Insekten schwirren. Wir haben ein neues Wort dafür erfunden: Weltfernsehen gucken.
#Weltfernsehen
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